Božena Němcová
1820–1862
Die Erzählerin Božena (Beatrix) Němcová, geboren am 4. Feber 1820 in Wien, entstammt der Ehe eines Wiener Deutschen Johann Pankl mit der Tereza Novotná, die, einer armen tschechischen Weberfamilie aus dem Adlergebirge entsprungen, ihre Jugend zwar im deutschen Glatz zugebracht hatte, trotzdem aber so wie ihre eigenen Kinder durch den Einfluß der Urgestalt der ,Großmutter‘, Magdalena Novotná, ihrer slawischen Identität treu geblieben war. Der Gatte war Stallmeister der reichen, schönen und gelehrten Katharina, Fürstin von Sagan, Gattin des Grafen Schulenberg. Pankl konnte sich infolge seiner Stellung, die ihn zu vielen Reisen zwang, wenig seiner großen Familie widmen. Die Erziehung der zahlreichen Kinder wäre Aufgabe der Mutter gewesen, die sich ihr aber, durch ihre Pflichten als Kammerfrau der Fürstin und später als Kastellanin auf Schloß Ratibořitz bei Böhmisch-Skalitz abgehalten, ständig entzog. So übernahm diese Tätigkeit die erwähnte Magdalena Novotná, die Großmutter der Kinder, die in den Kindern die Liebe zum schlichten Volke, zur Natur und Heimat und zur tschechischen Sprache weckte und großzog.
Die Verfasserin der ,Babička‘, das älteste Kind der Familie, die Barunka des Romans, kam nach einer schönen Jugend in Ratibořitz und nach einem Aufenthalt voll romantischer Schwärmereien bei Verwandten in Schloß Chvalkowitz – dort genoß sie als heranwachsende Schönheit die Verehrung durch die Beamtenschaft – 1833 nach Ratibořitz zurück und verfiel, entflammt durch Lektüre, der verhängnisvollen romantischen Täuschung vom Manne. Ihren Gatten wählten aber die Eltern. Es war der viel ältere Fin.-Wache-Respizient Josef Němec, den sie in Rot-Kosteletz 1837 heiratete. Er war ein energisch national empfindender Tscheche, der aber tief unter dem geistigen Niveau seiner Gattin stand und ihr später nur zu gern die gesamte Sorge um die Familie überließ.
Mit ihm machte sie eine lange Wanderzeit durch, die sie von Rot-Kosteletz, wo sie ihren Roman Chudí lidé (Arme Leute) konzipierte, nach kleinen Städtchen in Ostböhmen und für längere Zeit nach Polná führte. Die glücklichste Zeit verlebte sie in Prag 1841, wo sie durch Schönheit und Geist die ganze tschechische Prager Gesellschaft bezauberte. Von besonderem Einflusse war hier auf sie der gefeierte Arzt und Professor der Medizin Josef Rodomil Čejka, selbst ein Schriftsteller, Schöngeist und entschiedener Anhänger des ,Jungen Deutschland‘. Hier in Prag wurde sie zur berühmten Schriftstellerin, vor allem durch ihre Národní báchorky a pověsti (Nationale Märchen und Sagen). 1845 kam sie mit ihrem Manne nach Taus, wo sie sich als Sammlerin von Volksgebräuchen und Volksdichtung betätigte, bis ihre schriftstellerische Tätigkeit Angriffe hervorrief, in denen ihr Karel Havlíček mutig zur Seite trat. 1846 wird ihr Mann strafweise nach Deutsch-Wscherau versetzt, teilweise seiner eigenen nationalen Tätigkeit wegen und teilweise ihrer schriftstellerischen Wirksamkeit halber, die man ihm zum Vorwurfe machte. Mit der nahenden Revolution verschärfte sich das Mißtrauen gegen den Finanzwachinspektor. So kamen sie 1848 nach Nimburg, sie bereits stets gepeinigt um die Sicherheit ihres Mannes.
Durch die steten Verdächtigungen und Verfolgungen verdrossen kam Němec um eine Stelle in Ungarn ein und wurde nach Erlau und in andere ungarische Städte versetzt. Sie dagegen entschloß sich mit den Kindern in Prag zu bleiben. Diesen Aufenthalt in der Dauer von 12 Jahren unterbrach sie nur durch einige Reisen in die Slowakei und nach Ungarn, wo sie wieder mit scharfem Auge Sitten, Märchen, Gebräuche und Eigenart der Slowaken beobachtete, aufzeichnete und künstlerisch verwertete.
Ihr Hausstand in Prag war nur erhellt durch die vergötternde Liebe zu ihren Kindern, sonst war er mit dem ersten Prager Aufenthalt nicht zu vergleichen. Sorgen um das tägliche Brot, eigene Krankheit, stets tiefere Entfremdung zwischen den Gatten, der Druck der Reaktion, Furcht vor der Polizei quälten und marterten sie. Als der Gatte schließlich aus dem Staatsdienste entlassen wurde, lag die ganze Sorge um den Haushalt und die Familie auf ihr – und so wurde sie gezwungen, sogar die wenigen übrig gebliebenen Freunde um oft entwürdigende Darlehen anzugehen.
Ihre einzige Freude in dieser traurigen Zeit war der Umgang mit geistig hochstehenden, ihre Bedeutung wertenden Freunden, so besonders mit der bedeutenden Schriftstellerin Karolína Světlá. Weiter aber erhob sie über Qual und Kummer des Alltags ihr poetisches Schaffen, das die Dulderin auf lichte Höhen führte, wo sie alles vergaß und alles von ihr abfiel, was von Erdenstaub und Unvollkommenheit an ihr haftete.
In dieser Zeit – tief erschüttert durch den Verlust ihres Sohnes Hynek – arbeitet sie an der ,Babička‘, ihrem vollkommensten Werke, auf das der erwähnte Hanuš durch die Forderung Einfluß nahm, sie möge alle Volksgebräuche und Volksfeste im Rahmen eines Kalenderjahres in ihrem Bilde des Landlebens zusammenreihen. Soweit sich dies künstlerisch tun ließ, ist Božena Němcová diesem Wunsche nachgekommen.
Sie alterte und ergraute frühzeitig durch die Schuld auch eines Staates, der treue Dienste eines Beamten nicht anerkannte und nationale Gesinnung mit Amtsentlassung bestrafte.
Zuletzt noch schien ihr das Glück zu lächeln. Der Buchhändler und Verleger Augusta berief sie nach Leitomischl, da er eine Gesamtausgabe ihrer Werke herausgeben wollte. Bei dieser Arbeit litt sie aber gleichfalls Mangel und Not. Nach Prag zurückgekehrt, erkrankte sie an einem neuen Anfalle ihres Leidens, am 20. Jänner 1862 starb sie. Das Begräbnis – sie ist auf dem Vyšehrad bestattet – war das einer Fürstin. Auch noch heute sucht die große Schar der Verehrer ihres Genius das Grab auf, das die Dichterin der ,Großmutter‘ umschließt.
Dieses Werk nämlich ist es, das ihren Ruhm in der tschechischen und in der Weltliteratur begründet hat, wiewohl neben den von uns bereits angeführten Werken eine große Menge Novellen und Märchensammlungen, wie auch Darstellungen von Volksgebräuchen, Sagen, Unterhaltungen der Landleute usw. aus ihrer Feder hervorgegangen sind.
Von den ersteren nennen wir nur die Baruška, Rozárka, Karla und Divá Bára (Wilde Bara) und die reizende idyllische Liebesgeschichte Chýše pod horami (Das Haus unter den Bergen), die eine Frucht ihres zweiten Aufenthaltes in der Slowakei ist. Unter den Märchensammlungen ist besonders das zu gleicher Zeit wie diese Novelle herausgegebene Werk Slovenské pohádky a pověsti (Slowakische Märchen und Sagen) erwähnenswert.
Ihr Hauptwerk aber ist und bleibt die Babička. Und zwar in jeder Beziehung ästhetisch, philosophisch, national und sprachlich.
Božena Němcová ist vermutlich die Tochter von Dorothea Talleyrand-Périgord und Karl Clam-Martinic. Sie wird von Theresia und Johann Pankl, die in der Folge zwölf Kinder haben, adoptiert und 1820 ins nordostböhmische Ratibořitz gebracht, wo sie ihre Kindheit verlebt. 1837 heiratet sie den Finanzwacheangestellten Josef Němec, einen tschechischen Patrioten, der sie in die national engagierten Prager Kreise einführt. Da er oft versetzt wird, lernt sie das Land gut kennen, sie verfaßt volkskundliche Skizzen und sammelt Märchen. Ihr Hauptwerk, Die Großmutter, geschrieben nach dem Tode des ältesten ihrer vier Kinder, macht sie berühmt. Trotzdem leidet sie große Not, zumal ihr Mann schließlich aus politischen Gründen die Arbeit verliert und die Ehe zerbricht. Die „gute“ Gesellschaft ächtet sie wegen ihres unkonventionellen Lebensstils, und weil sie unter Polizeiaufsicht steht. Sie stirbt 1862 nach schwerer Krankheit in Prag.