Kulturgeschichte Österreichs
Aus dem Weltreich der Heilkunst und Pharmazie
Eine digitale Galerie

Dirndl mit sehnsuchtsvoller Seele – Das Wiener Mädel

Das Wiener Mädel ist die Frauenfigur in der Wiener Literatur der Jahrhundertwende. Die Schriftsteller erschufen mit ihm ein süßes, kindlich-naives, kleinbürgerliches Mädchen und statteten es mit einem guten Schuss Erotik unter der braven Oberfläche aus. Die Figur des flotten Dirndl kommt stets mit einem romantischen Liebesideal daher: Ob als fesches Mädel, das im Heurigenlokal Zufallsbekanntschaften schließt, als üppige Schöne am lauschigen Orte sitzend oder als schwaches, hilflos erscheinendes Mädchen, das Schutz und Halt beim Galan sucht – das kesse Wiener Mädel ist im Grunde doch immer auf die große Liebe aus. In Arthur Schnitzlers Schauspiel Liebelei (1895) beispielsweise ist es das aus kleinen Verhältnissen stammende Mädchen Christine, das den Mann fürs Leben sucht und sich unsterblich verliebt. Sie bleibt jedoch nur eine Liebelei, ein nettes Mädel für den Zeitvertreib. Letztlich nimmt das Stück ein tragisches Ende und sie geht ohne die ersehnte leidenschaftliche Liebe von der Bühne. Der Typus „artiges Madel“ legt neben der Bewunderung für den Herzallerliebsten aber auch freche und schnippische Allüren an den Tag. Das Rätsel um die weibliche Seele haben die Wiener Literaten mit der Genrefigur des „Wiener Mädels“ wohl nicht gelöst und der Zauber um die Wiener Frau bleibt noch zu lüften – von Madel zu Madel. 

Christine: Ja … Du denkst doch manchmal an mich.
Fritz: Ziemlich häufig, mein Kind …
Christine: Nicht so oft, wie ich an dich. Ich denke immer an dich … den ganzen Tag … und froh kann ich doch nur sein, wenn ich dich seh’!
Fritz: Sehn wir uns denn nicht oft genug? –
Christine: Oft …
Fritz: Freilich. Im Sommer werden wir uns weniger sehn … Denk dir, wenn ich zum Beispiel einmal auf ein paar Wochen verreiste, was möchtest du da sagen?
Christine (ängstlich): Wie? Du willst verreisen?
Fritz: Nein … Immerhin wär’ es aber möglich, dass ich einmal die Laune hätte, acht Tage ganz allein zu sein
Christine: Ja, warum denn? 

Arthur Schnitzler, Liebelei (1895)

watch replicas