Zur Geschichte der Medizin
Aus dem Weltreich der Heilkunst und Pharmazie
Eine digitale Galerie

Hugo Salus

3. 8. 1866 - 4. 2. 1929

Im Frühjahr 1927 veranstaltete die Prager Wochenschrift Die Wahrheit eine Umfrage unter heimischen Schriftstellern, die ihrer Arbeitsweise und ihrem Verhältnis zu Prag galt. Unter den Angeschriebenen war auch Hugo Salus, der unter anderem antwortete:

 

Ich bin glücklich, im schönen Prag zu leben; da gehe ich mit dankbaren Augen immer wieder zur Moldau und schaue begeistert zur mächtigen Burg hinüber oder wandle über die alte Brücke in das schöne Mittelalter der immer wieder jungen „Kleinseite“ mit ihren gar nicht regelmäßigen Gassen und Plätzen und ihren weiten aufstrebenden Gärten und immer wieder trage ich glücklich ein Gedicht nach Hause. Kein fertiges Gedicht, sondern das Ei eines Gedichtes, das ich dann an meinem Schreibtisch in ganz ausgefüllten Stunden ausbrüte, damit es vielleicht einem guten Menschen eine Freude bereite. [...]

Im Frühjahr 1927 veranstaltete die Prager Wochenschrift Die Wahrheit eine Umfrage unter heimischen Schriftstellern, die ihrer Arbeitsweise und ihrem Verhältnis zu Prag galt. Unter den Angeschriebenen war auch Hugo Salus, der unter anderem antwortete: 

Ich bin glücklich, im schönen Prag zu leben; da gehe ich mit dankbaren Augen immer wieder zur Moldau und schaue begeistert zur mächtigen Burg hinüber oder wandle über die alte Brücke in das schöne Mittelalter der immer wieder jungen „Kleinseite“ mit ihren gar nicht regelmäßigen Gassen und Plätzen und ihren weiten aufstrebenden Gärten und immer wieder trage ich glücklich ein Gedicht nach Hause. Kein fertiges Gedicht, sondern das Ei eines Gedichtes, das ich dann an meinem Schreibtisch in ganz ausgefüllten Stunden ausbrüte, damit es vielleicht einem guten Menschen eine Freude bereite. [...]

Ich liebe Prag, obgleich ich ein ganzer Deutscher bin, ich liebe Prag, weil ich ein Dichter zu sein hoffe. 

Wie das Wort ,ausbrütenenʽ andeutet, entstanden die Gedichte, zu denen Salus auf seinen Spaziergängen angeregt wurde, keineswegs spontan, sondern waren Ergebnis eines längeren Gestaltungsprozesses. Es ist überliefert, daß er während seiner zumeist am Abend unternommenen Stadtwanderungen ein kleines Notizbuch bei sich trug, in dem er Einfälle und Eindrücke in Kurzschrift festhielt. Am heimischen Schreibtisch verwandelten sich diese Notizen in einen zusammenhängenden Text, an dem er so lange feilte, bis er damit zufrieden war. Denn obwohl er den Beruf eines Frauenarztes ausübte, so daß ihm der Spruch Hugo Salus war ein Geburtshelfer und Poet dazu anhing, hatte er schamlos viel Zeit für seine literarische Arbeit, zu der auch zahlreiche Lesungen gehörten, auf denen er seine Werke mit leicht dialektalem Einschlag in schlichtem, ungekünsteltem Erzählton vorzutragen pflegte.

Allerdings klagte er gelegentlich scherzend, wie schwer es sei, als Frauenarzt Lyriker zu bleiben. Max Brod, der ihn gut kannte, erläutert: 

Unzählig sind die derben Witze, die er selbst gemacht hat, um das Paradox hervorzustreichen, das in der Verbindung der zarten, oft süßlich-zarten, höflichen und fast körperlosen Gedichte mit dem blutigen „Handwerk“ lag, das er trieb und dessen äußerst nüchterne, sachliche, dabei lebenschaffende, lebensbehilfliche, phrasenlos körperliche und – schmerzhafte Seite er lustvoll und substantiell rühmte. Er lachte darüber, wie sich die guten Mädchen, die von seinen ätherischen präraffaelitischen Versen entzückt waren, ihn und seinen Beruf so ganz anders vorstellten, als die Realität dies alles ergab und nötig machte.

Dem mittelgroßen, hageren, stets elegant gekleideten Mann im engen schwarzen Rock mit dem gefalteten schottischen Plaid über der Schulter war ein schmalwangiges, scharfgeschnittenes, bleiches, von Schwermut umschattetes Antlitz zu eigen, das von glattgescheitelten, langwallenden, dunkelblonden Haaren umrahmt wurde. Auch fielen den Zeitgenossen seine sanft verträumten braunen Augen und ein weich geschwungener, wohlproportionierter Mund auf. Er trug stets einen breitkrempigen, schwarzen Hut, mit dem er sich auch abbilden ließ. Dies alles gab ihm ein bohèmeartiges Aussehen, das ihn genauso zur stadtbekannten Persönlichkeit machte wie seine täglichen, still und sinnend absolvierten Spaziergänge, und das natürlich zur Karikatur einlud. Er war, so die Prager Presse in einer Würdigung, ein Wahrzeichen der maschinenfernen Epoche Prags, der Zeit der Prager Romantik.

Hugo Salus wurde am 3. August 1866 in Böhmisch Leipa (Česká Lípa) in Nordböhmen als Sohn des jüdischen Veterinärmediziners Moritz Salus (1839-1909) aus Klein-Schokau (Malý Šachov), einem westlich von Leipa im Tal des Polzen (der Ploučnice) gelegenen Dorf, und seiner aus Raudnitz (Roudnice) stammenden Ehefrau Therese, geboren Kafka (1839-1907) geboren. Therese war mit dem Rabbiner Angelus Kafka (1791-1870) verwandt, der möglicherweise ein Verwandter Jakob Kafkas war, des Großvaters von Franz Kafka. In seiner Erzählung Freund Kafkus, die er offenbar nicht ohne Bedacht zuerst bei einer Prager Lesung vorgetragen hat, spielt Salus mit dem Mädchennamen seiner Mutter, denn hier tritt eine aus dem Böhmischen stammende Dohle auf, die den Namen Kafka trägt, aber mit der Begründung, nur Mädchennamen endeten auf a, Kafkus genannt werden möchte.

Salus leitet seinen Nachnamen von dem bei Raudnitz liegenden Dorf Zalusch (Záluží) her – die etymologische Bedeutung wäre etwa: ,hinter dem Tümpel‘ –, in dem sein Großvater, der Hausierer Jeremias Salus, seinen Wohnsitz hatte. Er glaubte nämlich, daß ein kontrastfreudiger Beamter diese Ortsbezeichnung benützte, um daraus witzig und bildungsbewußt den hochtrabenden und lateinischen Namen Salus für meine armen Ahnen zu gestalten!

Nach ihrer Heirat im Jahr 1859 hatten sich Moritz und Therese Salus in Leipa zunächst in der Tempelgasse (U Synagogy) eine Wohnung genommen, waren aber im August 1860 in den Tiefen Graben (heute Jiráskova) übersiedelt, wo Hugo und sein drei Jahre älterer Bruder Alfred geboren wurden. 1877 zog man in die nur wenige Schritte entfernte Kreuzgasse (heute Moskevská).

Die Leipaer Lebensverhältnisse, zu denen auch die Art und Weise gehört, in der Moritz Salus seinen Beruf als Tierarzt ausübte, finden sich in der Erzählung Freund Kafkus beschrieben, in der sich vermutlich Erinnerungen an die Domizile im Tiefen Graben und in der Kreuzgasse vermischen:

Die Wohnung meiner Eltern zur Zeit unserer Kindheit bestand aus zwei Zimmern und einer schmalen Küche, die in meiner Erinnerung immer eine trauliche Petroleumhängelampe leuchten läßt. In dieser Küche stand „die Apotheke“, ein breiter Kasten, darin mein Vater seine Salben, Oele und Pulver bewahrte, aus denen er die geheimnisvollen Heilmittel für das Vieh der Bauern bereitete, deren gesuchter tierärztlicher Berater er war.
Gegen den Hof hinter der Küche und einige Stufen höher war die gute Stube, in die wir aber nur sehr selten kamen, da sie kaum jemals benützt wurde. Darin stand der Glaskasten mit seinen naiven Wundern, ein ovaler Tisch, darauf das Photographiealbum lag, ein kleines Sofa, mit rotem Rips überzogen, und drei Sessel mit geschweiften Beinen, und es ist mir noch jetzt ganz feierlich zu Mute, wenn ich an dieses Paradezimmer denke, darin es nach parfümierter Seife und guten Äpfeln roch; denn diese lagen auf dem Glaskasten droben, da ja in diesem Zimmer nie geheizt wurde, und so stark sind meine Kindheitseindrücke, daß auch heute noch Äpfel mir immer ein Seifenparfüm zu besitzen scheinen.

Salus besuchte zunächst vier Jahre lang die deutsche Volksschule, wo er einen Lehrer hatte, der sich wie ein guter Vater der Schüler annahm, einen älteren Herrn, der aber immer mit gütig leuchtenden Augen zu uns Kindern sprach, als wäre ihm das Unterrichten eine Freude und ein Herzensbedürfnis. Schon während dieser Zeit kam er mit Literatur in Berührung, denn er wurde mit Defoes Robinson Crusoe bekannt, der zum ersten Mal seine Phantasie beflügelte. Salus gedachte dieser Zeit in seinem Leipaer Sprüchel, das er 1927 zusammen mit seinen Bauernblumen, die Häuser und Gärten seiner Heimatstadt rühmen, für eine Festschrift zur Verfügung stellte, die zur Feier des 300jährigen Bestehens des Leipaer Augustinerklosters und seines ihm angeschlossenen Gymnasiums veröffentlicht wurde.

Im September 1876 wechselte Salus in das Gymnasium über, das aus einer Lateinschule hervorgegangen und seit 1850 Vollanstalt war. Die überalterten Räumlichkeiten des Untergymnasiums lagen im Klosterbereich. Die Professoren waren freigeistige, in der deutschen Kultur verwurzelte Ordenspriester, ausgezeichnete, kinderfreundliche Pädagogen, wie Salus später zu Protokoll gab, denen er ein dankbares Erinnern bewahrte. Das galt vor allem für einen seiner Lehrer, der bei aller Strenge unter seiner schwarzen Kutte ein großes edles Herz barg; den wir alle, ob gut oder schlecht veranlagt, liebten, und der eben die unerwerbbare Eigenschaft besaß, eine Persönlichkeit zu sein.

 

Bibliographische Angaben und weitere Texte finden Sie in Mit Feder und Skalpell – Grenzgänger zwischen Literatur und Medizin.

 

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